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Die Stadtpflanzen des Jahres - seit 2017


Anlässlich seines 10-jährigen Bestehens ruft der Bochumer Botanische Verein die "Stadtpflanze des Jahres" als Bestandteil der "Natur des Jahres" ins Leben. Ab sofort wird somit jährlich eine Pflanze benannt, deren Lebensraum entscheidend durch urbane Standorte geprägt wird. Dies werden Arten sein, die schwerpunktmäßig in Städten vorkommen und/oder besonders häufig bzw. typisch in urbanen Lebensräumen auftreten. Dazu gehören einerseits Pflanzen, die am ursprünglichen Naturstandort selten oder bedroht sind und in Städten einen Ersatzlebensraum finden sowie andererseits Pflanzen, die ausgehend von innerstädtischen bzw. anthropogener Aktivität (z.B. Gärten, Verkehr, Industrie) einen deutlichen Verbreitungsschwerpunkt in der besitzen.

Den Auftakt der Reihe macht im Jahr 2017 das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio inaequidens), das sich auch im Logo des Bochumer Botanischen Vereins wiederfindet. Es handelt sich dabei um eine leicht zu erkennende Art, die zu den häufigsten und charakteristischten Pflanzen des Ruhrgebiets zählt und zudem eine interessante Einwanderungsgeschichte und -biologie hat.


Jahr Stadtpflanze des Jahres Wissenschaftlicher Name
2017 Das Schmalblättrige Greiskraut Senecio inaequidens
2018 Die Ackerröte Sherardia arvensis
2019 Der Klebrige Alant Dittrichia graveolens
2020 Das Gelblichweiße Ruhrkraut Helichrysum luteoalbum
2021 Die Kreisförmige Schwielenflechte Phaeophyscia orbicularis
2022 Der Chinesische Blauglockenbaum Paulownia tomentosa
2023 Vierblättriges Nagelkraut Polycarpon tetraphyllum
2024 Die Stockrose Alcea rosea
2025 Breitblättrige Stendelwurz Epipactis helleborine


Seit 2017 wählen die Mitglieder des Bochumer Botanischen Vereins die "Stadtpflanze des Jahres" aus einer Auswahl charakteristischer Arten für diesen Lebensraum. Von Gehölzen, die dem Stadtklima trotzen, bis hin zu in der Naturlandschaft seltenen Arten, die in der Stadt einen neuen Lebensraum finden, ist dabei das Spektrum breit.

Für das Jahr 2025 wurde die Breitblättrige Ständelwurz (Epipactis helleborine) zur Stadzpflanze ernannt.

Einleitung

Den Lebensraum Stadt verbindet man nicht unbedingt mit dem Vorkommen von Orchideen. Schaut man in alte Florenwerke, ist immer wieder überraschend, wie viele Orchideen-Arten es vor nur 100 Jahren noch an Orten gab, die heute dichtbesiedelte Räume sind. Hier wurden sie, wie viele andere Arten auch, vollkommen verdrängt und kommen höchstens noch in Schutzgebieten vor. So zeigt ein Blick in die Roten Listen der gefährdeten Pflanzenarten, dass die überwiegende Mehrzahl der Orchideen aktuell in ihrem Bestand gefährdet oder sogar ausgestorben ist.

Eine Orchidee aber folgt nicht diesem Trend, sondern sie verhält sich ganz anders: die Breitblättrige Ständelwurz. Sie ist heute vielerorts häufiger als früher und oft die bei weitem häufigste Orchideen-Art überhaupt. Immer weiter hat sie sich in den Siedlungsbereich ausgebreitet und wächst hier an Orten, die nicht im Entferntesten an die gewohnten Wuchsorte von Orchideen erinnern, sondern typische Lebensräume der Stadt darstellen. Dabei wachsen die Pflanzen nicht etwa nur in Parks und auf Friedhöfen, den oft letzten "Grünen Oasen" einer Stadt, sondern sogar mitten im Stadtzentrum am Rand von Bürgersteigen, in Blumenrabatten und Schotterbeeten sowie auf Baumscheiben und Brachflächen. Zwar kommt die Breitblättrige Ständelwurz in Deutschland noch immer an Naturstandorten vor, hat also insgesamt keinen Schwerpunkt im Siedlungsraum, aber sie ist die einzige Orchideen-Art, die sich massiv in die Städte vorgewagt und hier etabliert hat. So ist sie zur regelrechten Stadt-Orchidee geworden, weswegen sie von den Mitgliedern des Bochumer Botanischen Vereins zur Stadtpflanze des Jahres 2025 gewählt wurde.



Epipactis helleborine, an einer Hauswand auf einem Bürgersteig - Bochum-Mitte (Bild: © A.Jagel) Name

Während im Deutschen für die Gattung Epipactis lange Zeit die Schreibweise "Stendelwurz" (mit e) verwendet wurde, ist seit der großen Rechtschreibreform im Jahr 2006 nach DUDEN auch die Schreibweise "Ständelwurz" wieder zulässig. Die Begründung dafür ist, dass sich der Name vom Wort "Ständer" ableitet, was sich auf die angeblich potenzfördernde Wirkung der Orchidee bezieht.
Epipactis helleborine, an einer Hauswand auf einem Bürgersteig - Bochum-Mitte Bild: © A. Jagel



Die Bedeutung des lateinischen Gattungsnames Epipactis ist "bislang ganz unbefriedigend geklärt". BECKHAUS beschreibt ihn mit "griech. = draufsitzend, d.i. Schmarotzerpfll." und auch FÜLLER gibt an, dass es sich um einen altgriechischen Namen einer Schmarotzerpflanze (wahrscheinlich Orobanche) handele. MARZELL übersetzt das griechische "epipaktos" als "fest gemacht, geschlossen", ohne Interpretation. "Helleborine" ist der Name, den die Breitblättrige Ständelwurz früher auch als Gattungsname trug (Helleborine latifolia) und der noch heute im Englischen für die Gattung verwendet wird. THEOPHRAST verwendet ihn für den Germer (Veratrum), der in der Stellung der Blätter und der tiefen Blattaderung der Epipactis helleborine ähnelt. Das frühe Epitheton latifolia schließlich stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "breitblättrig".



Familie Tribus Gattung Art
Orchideen Neottieae Ständelwurzen Breitblättrige Ständelwurz



Systematik

Die Breitblättrige Ständelwurz gilt als sehr variable Art und hat daher auch eine Vielzahl von Synonymen. Früher hatte die Art einen weitaus größeren Umfang, dann wurden nach und nach neue Arten oder Unterarten als eigenständig abgegrenzt. Nicht alle dieser Neubeschreibungen werden allerdings allgemein anerkannt. So gehen die einen davon aus, dass Epipactis helleborine im derzeitigen Umfang mit Sicherheit noch weitere, bisher nicht abgegrenzte eigenständige Sippen umfasst, andere betonen eher die Ansicht, dass einige der bisher beschriebenen Ausgliederungen besser nur als Formen betrachtet werden sollten.

Morphologie

Epipactis helleborine ist schon im Habitus sehr variabel. Abhängig vom Standort kann sie sehr klein bleiben, an geeigneten Standorten aber auch einen Meter hoch werden (AHO NRW 2018). Es wird sogar ein Wert von 149 cm angegeben. Nicht selten sind die Pflanzen von Blattläusen befallen.

Die Art überdauert im Boden mit einem kurzen Rhizom, an dem sich zahlreiche dicke, weißliche Wurzeln entwickeln. Das Rhizom kann sich lebhaft verzweigen, wodurch sich die Pflanze vegetativ vermehrt und es zu den oft auftretenden Gruppen von Blütentrieben kommt. Die unteren und mittleren Blätter sind breit rundlich bis breit eiförmig, stängelumfassend und deutlich geadert. Nach oben werden sie immer schmäler und kleiner und gehen im Blütenstand in noch stärker reduzierte Tragblätter über.



Epipactis helleborine - Blüte - Bergkamen - Bergehalde Großes Holz (Bild: © B.Margenburg)
Epipactis helleborine - Blüte - Bergkamen - Bergehalde Großes Holz - Bild: © B. Margenburg



Der Blütenstand der Breitblättrigen Ständelwurz nickt im knospigen Zustand. Voll entwickelt ist er dann aufrecht und kann sehr lang werden, sodass er sogar mehr als die Hälfte der gesamten Pflanze einnimmt, dabei können bis zu 80 Blüten in nur einem Blütenstand auftreten. Die Blüten stehen mehr oder weniger einseitswendig und sind in Form und Farbe sehr variabel. Meist haben sie eine grünliche oder grünlich weiße Grundfarbe und sind mehr oder weniger intensiv braun-rot bis violett-purpur überlaufen.

Epipactis helleborine gehört unter den heimischen Orchideen zu den spät aufblühenden. In Nordrhein-Westfalen liegt die Hauptblütezeit zwischen Mitte Juli und Ende August (AHO NRW 2018), die Blütezeit kann aber auch bis weit in den September hineinreichen. Anders als einige ihrer engsten Verwandten ist die Art (zumindest überwiegend) fremdbestäubt (allogam), wobei Wespen eine herausragende Rolle spielen. Nach jüngeren Untersuchungen werden diese durch Blütenduftstoffe angelockt, die das Vorhandensein von Raupen vortäuschen, mit denen Wespen ihre Brut ernähren (chemische Mimikry). Sie erhalten dabei aber nicht die erwartete Beute, sondern nur reichlich Nektar. Da aber nur weibliche Wespen mit der Versorgung der Brut beschäftigt sind, ist unklar, warum auch Wespenmännchen die Blüte anfliegen. Wenn die Bestäuber beim Zurückkriechen ihren Kopf aus den Blüten ziehen, bleiben die Pollinien der Orchideenblüte am Kopf heften. Hiermit können sie beim Besuch der nächsten Blüte die Fremdbestäubung vollziehen.

Die Fruchtreife erfolgt etwa sechs Wochen nach der Blüte und der Samenausfall bis in den Spätherbst (AHO Thüringen). Die reifen, hängenden Kapseln öffnen sich bei Trockenheit durch Längsspalten, sodass die zahlreichen Samen (etwa 5000 pro Frucht) vom Wind ausgeblasen und so ausgebreitet werden können.

Vorkommen und Verbreitung

Verglichen mit den meisten anderen Orchideen ist die Breitblättrige Ständelwurz nicht auf spezielle Standorte beschränkt, sondern besiedelt ein breites Spektrum von Lebensräumen. Sie wächst auf trockenen bis frischen, meist tiefgründigen, nährstoffreichen und oft basischen Böden, kommt aber auch in Gebieten mit Silikatgestein vor.



In der Naturlandschaft gehören schattige und lichte Laub- und Mischwälder zu ihrem Hauptlebensraum, wo sie oft an lichten Waldwegen, Waldsäumen und auf Lichtungen wächst. Sie tritt aber auch in Nadelholzbeständen und Gebüschen, auf Halbtrocken- und Trockenrasen und selbst in Pappelforsten und auf  armen Dünensanden auf. Auf die Lebensräume in der Stadt wird weiter unten näher eingegangen.

Epipactis helleborine ist eine eurasiatisch verbreitete Art, die von NW-Afrika über Europa bis China verbreitet ist. Seit 1879 wächst sie eingeschleppt auch in Nord-Amerika und ist dort inzwischen als invasive Art weit verbreitet. In Deutschland ist sie fast überall vorhanden.
Epipactis helleborine mit etwa 65 Blüten, Lünen (Bild: © B.Margenburg)
Bild: © B. Margenburg Epipactis helleborine mit etwa 65 Blüten, Lünen



Vorkommen in der Stadt

Neben den bereits genannten verschiedenen Standorten hat die Breitblättrige Ständelwurz eine Fülle von Stellen im Siedlungsbereich neu erobert, an denen sie früher ganz offensichtlich nicht vorkam. Heute findet man sie mitten in der Stadt nicht nur in Parks, sondern auch in Mauerfugen, in Pflanzenritzen auf Bürgersteigen, in Blumenbeeten, auf Baumscheiben und begrünten Flachdächern, in Gärten, hier sogar in Schotterbeeten und Blumentöpfen, sowie in Straßengräben, auf Parkplätzen und auf Brachflächen. Auch an Bahndämmen, an Bahngleisen und auf Bergehalden ist sie regelmäßig zu finden. Zwar werden auch andere Orchideen-Arten vereinzelt und immer wieder überraschend im Siedlungsbereich angetroffen, aber keine ist derart häufig und kommt regelmäßig an solch anthropogenen Standorten vor wie die Breitblättrige Ständelwurz. Gezielte Untersuchungen im Ruhrgebiet in Holzwickede (Kreis Unna) durch Werner Hessel ergaben, dass von der Art in den zurückliegenden 15 Jahren in der Gemeinde fast 1400 Pflanzen wuchsen, davon ca. 900 im Siedlungsbereich.

Gefährdung und Schutz

Eine Gefährdung der Breitblättrigen Ständelwurz in ihrem Gesamtbestand besteht heute nicht und die Art kann noch immer als unsere häufigste Orchideen-Art gelten. An ihren ursprünglichen Naturstandorten wird sie allerdings stellenweise z.B. durch zu frühes Mähen der Waldränder geschädigt, weil dann keine Samen gebildet werden können.



Epipactis helleborine, Blüte - Kreis Unna (Bild: © B.Margenburg) Auch Düngereintrag bis in den Waldsaum hinein führt zum Rückgang der Art. Nachdem MARGENBURG (1997) für den Kreis Unna feststellte, dass die Breitblättrige Ständelwurz eine Orchidee der Zukunft sei, sind hier mittlerweile zahlreiche und empfindliche Rückgänge zu beobachten. ...
Epipactis helleborine, Blüte - Kreis Unna Bild: © B. Margenburg



... Die Gründe dafür sind vielschichtig. So sind große Vorkommen bei Durchforstung von Wäldern verloren gegangen, auf Berghalden wurden sie an verschiedenen Stellen von der Armenischen Brombeere (Rubus armeniacus), einem invasiven Neophyten, überwuchert (MARGENBURG 2024). Auf Waldlichtungen nehmen heutzutage aber auch die heimischen Brombeer-Arten oft überhand und verdrängen die bodennahe Krautschicht. Freiraumversiegelung spielt beim Rückgang der Breitblättrigen Ständelwurz genauso eine Rolle wie die zunehmende Asphaltierung von Waldwegen und ehemaligen Bahntrassen beim Bau von Radwegen.

Im Siedlungsbereich findet man die Stadtpflanze des Jahres 2025 aber noch immer regelmäßig und besonders auf Friedhöfen nehmen die Bestände offenbar sogar noch zu. An trockenen Standorten allerdings, wie z.B. auf Bürgersteigen oder Brachflächen, leidet die Stadtorchidee in den letzten Jahren unter den zunehmenden Hitze- und Trockenphasen im Zuge des Klimawandels.

Obwohl die Breitblättrige Ständelwurz heute viel häufiger ist als früher (RUNGE 1990) und in den Roten Listen der gefährdeten Pflanzenarten (meist) nicht geführt wird, darf sie nicht gepflückt oder gar ausgegraben werden, denn sie ist gesetzlich geschützt. Dieser Schutz bezieht sich aber nicht auf die Breitblättrige Ständelwurz im Speziellen, sondern die Art profitiert vom Kollektivschutz, der bei uns für die gesamte Pflanzenfamilie der Orchideen (Orchidaceae) besteht. Aber selbst, wenn das für Epipactis helleborine als unberechtigt erscheinen mag und es in der Praxis wohl auch noch nie irgendein Bauvorhaben beeinflusst haben dürfte, macht der Schutz dieser Art durchaus Sinn, wenn man berücksichtigt, dass mehrere sehr seltene und gefährdete Arten der Breitblättrigen Ständelwurz so ähnlich sind, dass man sie leicht mit iht verwechseln kann.


Vielen Dank an den Bochumer Botanischen Verein, Herrn Dr. Armin Jagel, Bochum, für den Pressetext und die Möglichkeit die Bilder der Breitblättrigen Ständelwurz, von A.Jagel, und B.Margenburg veröffentlichen zu dürfen.


Wer noch mehr wissen möchte über die Stadtpflanzen, oder auf das ausführliche Pflanzenporträt, dem empfehle ich die Webseite: www.botanik-bochum.de



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- letzte Aktualisierung: Donnerstag, 04. Dezember 2025 -
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